PETERVANHAM.COM


BIOGRAPHIES


BOOKS


MUSIC / FILM


PUBLICATIONS & LECTURES


NORTHEAST INDIA


WESTERN HIMALAYAS


PHOTO-ARCHIVES


UPCOMING


CONTACT


In den Bergen der
Kopfjäger

Ergänzungen zu Nagaland




Jina und Etiben, Romeo und Julia der Ao:

Die Dorfältesten von Mopungchukit laden uns ein, mit ihnen zu den Steinen von Jina und Etiben zu gehen.
"Sie wollen unserem heldenhaft verehrten Liebespaar Ehre erweisen", erklärt Temjen, als wir uns dem Zug anschließen, der das Dorf in Richtung Bergseite verlässt. Der Anstieg mit all der Ausrüstung ist schweißtreibend. Zum Glück helfen uns unsere beiden Inder. Als wir das letzte Haus hinter uns gelassen haben, beginnt ein ausgedehntes Waldstück, in dem es angenhem kühl ist. Exotische Vogelstimmen dringen an mein Ohr und die prachtvollen Blüten des Feuerbaumes erfreuen meine Augen. Als wir eine Anhöhe erreicht haben, breitet sich vor uns ein großes felsiges Plateau aus, das den gesamten, wieder bergab führenden Pfad einnimmt. Im oberen Bereich sind mehrere Steine errichtet worden – "Verdienstfeste..." erläutert Temjen – und im rechten Teil des Steinpfades bleiben die Ältesten vor zwei, auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden Felsen stehen.
"Dies sind die Steine von Jina und Etiben", verkündet Temjen stolz.
"Wer waren sie?", will Aglaja, noch ein wenig außer Atem, wissen.
"Sie waren zwei Menschen, die sich so sehr geliebt haben, dass sie sich über alle gesellschaftliche Grenzen hinweggesetzt haben. Auf sie geht die Abstammung der Menschen Mopungchukits zurück. In ihrem Handeln ist der gesamte Widerstand der Ao begründet, der uns stark gemacht hat und uns sämtlichen Annektionen durch feindliche Mächte widerstehen ließ.
Ihr Drängen nach einander war so stark, dass ihre Liebesakte sogar Abdrücke im Stein hinterlassen haben", lächelt er verschmitzt.
Fruchtbarkeit ist wirklich das Thema in Nordost-Indien und bei den Naga ganz besonders, denke ich bei mir, als wir weitergehen.



Weiteres aus Ungma:

Den Kopf des Ältesten ziert wieder ein Kranz aus Bärenfell, auf dem neun Schwanzfedern des Nashornvogels stecken – Federn von vor der ersten Mauser, wie der Alte stolz berichtete. Sie sind bei den Naga besonders wertvoll, weisen diese doch als einzige an ihrem Ende den charakteristischen ausladenden Schwung auf, der sämtlichen anderen Federn fehlt. Um seinen Hals prangt ein Band aus vier großen Eberzähnen, worunter eine prachtvolle Kette aus Seeschnecken und Karneol-Perlen bis über die Brust hängt. An den Oberarmen trägt er breite Ringe aus Elfenbein. Eine gewobene Schärpe mit roten Fransen aus Ziegenhaar ist unter seinem rot-schwarzen Umhang auszumachen. Seinen Unterleib bedeckt wieder die schwarze Schürze mit angefeilten Kauris, die im Übrigen auch an seinen Armbändern befestigt sind, und aus Rotang geflochtene Gamaschen stützen seine Fesseln.



Zur Bedeutung der Ao-Textilien:

"Wir nennen unser Tuch Mangkotepsü”, erklärt einer der Anwesenden. "Es besteht aus sechs schwarzen Streifen, die die Männer repräsentieren. Fünf rote Streifen stehen für die fünf Frauen, die Gott dem ersten Menschen gab. Symbolisch bedeutet die um eins geringere Anzahl der "Frauenstreifen” auch die Vormachtstellung des Mannes bei den Ao. Aus Mangkotepsü wird Tsüngkotepsü durch sein weißes und später bemaltes zentrales Band, das früher nur an dem Tuch befestigt wurde, wenn sein Träger einen Kopf erbeutet bzw. ein Verdienstfest ausgerichtet hatte. Die Farbe stammt vom Saft des Tangko-Baumes, der mit sehr starkem Reisbier und der Asche der Blätter vermischt wird. Viele Geschlechts- und Essenstabus waren mit der Herstellung der Farbe verbunden. Heutzutage werden die Motive in das Band eingestickt.”
Von den feinen Arbeiten fasziniert, frage ich nach der Bedeutung der Motive auf dem weißen Band.
"Sie symbolisieren die Tugenden des Tuchträgers,” antwortet der Älteste, übersetzt von Temjen. "Der Mithunbulle steht für Reichtum – Besitz wurde früher in der Anzahl dieser Rinder gemessen – Tiger, Elefant und seit neuestem auch der Löwe stehen für Mut. Die menschlichen Köpfe symbolisieren Erfolg in der Kopfjagd, der Speer Tapferkeit, der Dao ausgefeilte Kriegstechnik, der Nashornvogel Ehre und der Hahn als Opfertier Glück. Die Mithunköpfe stehen für Verdienstfestgeber-Status, ähnlich wie diese Stäbe hier. Das sind Jabili, das traditionelle Eisengeld der Ao, das Vermögen bedeutet. Schließlich sind da noch die Gestirne und die zeigen an, dass der Träger durch seine Taten in Verbindung mit den kosmischen Gesetzen steht."



Das Lied von Ungmangla:

"Die Frauen", erklärt der Pastor, "haben von Ungmangla erzählt (mir fällt die sprachliche Nähe zum Namen für die Urreligion der Metei von Manipur auf). In den Tagen von Chungliyimti lebten ein Mann und eine Frau zusammen, die sich unendlich liebten. Doch ihr Glück war nur von kurzer Dauer, denn bald schon wurde der Mann todkrank. Als es unter großem Wehklagen Zeit wurde für den Mann, die Augen zu schließen, bat er seine Frau zu sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie keinen neuen Mann heiraten dürfe, sondern warten müsse, bis er zu ihr aus dem Land der Toten zurückkehren würde. Dies würde er nach drei Jahren tun. Im Gegenzug versprach er ihr, ebenfalls nicht zu wieder heiraten. Dann schloss er die Augen und starb.

Die drei Jahre vergingen, doch der Mann kam nicht wieder. Weitere drei Jahre zogen ins Land, doch noch immer passierte nichts. Da hielt es die Frau schließlich nicht mehr aus und berichtete ihrer Schwiegermutter, dass sie wieder heiraten wolle. Doch diese verwahrte sich vehement gegen ihr Anliegen, und gebot ihr weiter zu warten.
Da schlug die Frau ihr eines Tages vor, Ungmangla, die Frau des Todes, zu rufen, die in Trance die Seele ihres verstorbenen Mannes befragen konnte. Dem stimmte die Schwiegermutter zu. Ungmangla wurde gerufen und wurde gebeten, die Wünsche der Frau dem Verstorbenen im Himmel zu übermitteln. Diese Wünsche wurden von Ungmangla in ein Lied gewoben und mit diesem Lied stieg sie in den Himmel auf und traf den Geist des Verstorbenen.

Der Mann vernahm die Klage und die Wünsche seiner Frau durch das Lied Ungmanglas, besann sich und sang ebenfalls ein Lied. Dieses Lied nahm Ungmangla und kehrte zurück auf die Erde. Aus der Trance erwacht, berichtete sie der Frau vom Treffen mit ihrem verstorbenen Mann und sang ihr sein Lied vor. Es lautete:
"In diesem Land der Vergänglichkeit auf Erden, wo Kameraden Mithun opferten und sogar zehn Köpfe nach Hause brachten, war es stets, als sei man in der Fremde. Im Himmel, dem besten, angenehmsten Land, möchte ich leben, ja, sogar wiedergeboren werden. Wir haben hier Freunde, die Mithun opfern. Und wir werden alle zum Tanz eingeladen. Zeit zum Tanzen haben wir hier. Sag meiner geliebten Frau, meiner meist begehrten Blume, sie mag heiraten, wen sie möchte. Doch ich bleibe hier. Nur eins noch: Schicke mir die wollenen Quasten, die einst den Saum meines Tuches zierten, schicke sie mir durch Ungmangla, der Frau des Todes."

Aglaja und ich können nicht anders, als unserer Faszination durch Applaus Ausdruck zu verleihen, der von den Sängern bescheiden lächelnd entgegengenommen wird. Das Lied hat große Tiefe und geht mit dem unausweichlichen Tod in einer ureigenen, erfrischenden Weise um – denn wer hätte bei so viel Liebe gedacht, dass der Mann lieber im Reich der Toten bleibt und ihm sein Status dort – dafür steht die Quaste des Gewandes, die er noch haben möchte – wichtiger ist, als sein Versprechen einzuhalten.




Die Trommeln von Changtongnya:

Unsere erste Station auf dem Weg in das Territorium der Phom, dem "Land der Wokenmenschen" (Phom bedeutet "Wolke") ist das angrenzende Changtongnya, Temjens Geburtsort. Ich habe nicht lange bitten müssen, um die ältesten erhaltenen Logdrums von Nagaland zu sehen. "Ich hätte Euch sowieso meinen Eltern vorgestellt", lächelt Temjen.

Die alten, imposanten Baumstammtrommeln stehen in den weit voneinander entfernten Longzüng- und Longdi Khel und stammen aus den Jahren 1725 bzw. 1740. Ich weiß zwar nicht, woher die Bewohner das wissen, denn so etwas wie Geschichtsschreibung im westlichen Sinne ist bei den Naga eigentlich unbekannt, doch der Verwitterungszustand des Holzes lässt diese Datierungen plausibel erscheinen. Als wir bei ihnen eintreffen, hat sich das gesamte Dorf (oder ist es der jeweilige Klan? Dafür scheinen es zu viele zu sein...) an den Trommelhäusern versammelt. Wie in Mopungchukit sind es die Ältesten, die die steinharten, verwitterten Ungetüme in eindrucksvollen Vorstellungen zum monströsen Klang erwecken. Ich mache ein paar Tonaufnahmen und dann erklärt uns Temjen deren interessante Geschichte:

"Wir Naga glauben, dass die Logdrums, die die Ao Süngkong nennen, Wesen sind. Für uns leben sie. Es gibt Geschichten, dass sich eine Logdrum z.B. selbständig aus ihrem brennenden Verschlag befreit hat. Wenn eine neue Logdrum benötigt wird, findet der Schamane ihren Baum in einem Traum. Unter Opfergaben wird der Baum beschworen und besänftigt und der Schamane holt sich dessen Erlaubnis ein, bevor er gefällt wird. Willigt der Baum nicht ein, muss ein anderer "erträumt" werden. Alle Arbeiten wie das Aushöhlen und das Schnitzen der Form werden im Dschungel durchgeführt. Es ist eine spirituell gefährliche Zeit für die Handwerker. Haben sie ihr Werk vollendet, wird die Trommel von allen Klanmitgliedern ins Dorf gezogen. Dazu wird ein riesiges Fest veranstaltet. Derjenige, der dieses Fest finanziert, darf auf der Trommel reiten und die Kommandos geben – er ist der Held des Tages und die Trommel ist fortan immer mit seinem Andenken verknüpft. Früher war es unabdingbarer Brauch, für die Trommel einen Kopf zu erbeuten – heute wird ihr ein Huhn geopfert. Aber immer noch muss für ihre Installation Blut fließen, denn sie ist das mächtigste Symbol für die Einheit des Klans, sein Beschützer und Ausdruck seiner Stärke. Wusstet Ihr, dass jede Baumstammtrommel einen Namen hat?"
Wir verneinen und Temjen erklärt lachend: "Ja, es gibt weibliche und männliche Logdrums. Das erfährt der Schamane von dem Baum. Und wir Ao geben ihnen Namen, die etwas mit der Geschichte ihres Kommens in unser Dorf zu tun hat. Diese beiden von Changtongnya z.B. heißen Imlakzükba und Wangjangtsükrep. Imlakzükba kommt aus dem Umstand, dass die Dorfbewohner die Nase voll hatten, sie zu ziehen, weil sie so höllisch schwer war. Und Wangjangtsükrep, was übersetzt "Gebrochener Hals" bedeutet, leitet sich daraus ab, dass während die Trommel gezogen wurde, sie einen Stein, der die Form eines menschlichen Torso hatte, am Hals zerschmetterte! Fortan wurde diese Trommel natürlich als besonders glückverheißend, was Kopfjagderfolge betraf, angesehen."

"Ich habe bemerkt, dass es viele verschiedene Rhythmen und richtige Lieder gibt, die auf den Logdrums gespielt werden", sage ich. "Das stimmt", bestätigt Temjen. "Alle sind anders und von vielfältiger Bedeutung. Jeder Klan hat seine "Erkennungsmelodie", jedes Ritual verlangt nach einem eigenen Rhythmus, jede Ankündigung unterscheidet sich musikalisch von der anderen."
"Werden dann die Logdrums auch zur Nachrichtenübermittlung gebraucht – ähnlich wie in Afrika oder Ozeanien die Schlitztrommeln?", frage ich. "Ich weiß nicht genau", beteuert Temjen, "aber bei uns dienen diese Nachrichten nur dem eigenen Klan. Nur dieser kann die Botschaften entschlüsseln. Und was ein wünschenswerter Nebeneffekt ist: bei denen die nicht zu unserem Klan gehören, erzeugen die Trommeln immer Angst und Schrecken. Die Botschaft ist massiv und wuchtig und wer sie nicht entziffern kann, muss meist davon ausgehen, dass eine Kopfjagd unmittelbar bevorsteht..."
Ich blicke Temjen ungläubig an, will ihm aber nicht sagen, dass er seine letzten Sätze in der Gegenwart gesprochen hat. Da nimmt er meinen Arm und mahnt zum Aufbruch: "Es ist noch weit bis zu unserem Dorf und wir sollten die Feierlichkeiten nicht verpassen!"




Im Phom-Dorf Sakshi

Da kommt ein junger Mann aus dem Hintergrund zu mir an den Bühnenrand und sagt: "Hallo, ich bin Henshet, Henshet Phom. Ich fahre mit Euch nach Sakshi."
"Das ist nett, Henshet, vielen Dank, aber wo ist Temjen?"
"Temjen ist zurück nach Kohima!" ruft Thangi.
"Aber wir haben uns gar nicht verabschiedet und bedankt!", rufe ich zurück.
"Don’t worry, Ihr sehr Euch wieder – spätestens in Dimapur."

Dann fahren wir los. "Die Leute von Sakshi sind anders", sagt Henshet. "Auch sie feiern Monyü und Ihr seid ihre Ehrengäste."
"Wie weit ist es?" frage ich, doch im selben Moment wird mir mal wieder die Unsinnigkeit meiner Frage bewusst.
"Vergiss es, Henshet. Es ist nur wegen meinem Magen", schiebe ich nach. "Kann ich bitte vorne sitzen?"
Doch da ist es schon zu spät! "Anhalten!" rufe ich und schaffe es gerade noch rechtzeitig zum Straßengraben...
Nun ist mir besser. Und mir fällt auf, dass ich die Reißleine an der richtigen Stelle gezogen habe. In der gegenüberliegenden Kurve steht ein einsames Grab, an dem ein Mann sitzt und ein Licht entzündet. Ich habe ihn wohl in seiner Andacht gestört, denn noch immer blickt er mich entgeistert an, als ich mich der Grabstätte nähere. Sie ist eine Mischung aus traditioneller und christlicher Bestattung. Zwar gibt es einen Grabstein, aber dieser ist von einem Palmblattverschlag umgeben, auf dem das Tuch, das die Verstorbene getragen hat, ausgelegt ist. Die Frau ist in dieser Kurve überfahren worden, folglich hat man hier ihr Grab errichtet. Leben und Tod liegen nah beieinander in Nagaland...

Sakshi ist weit – elend weit. Die Fahrt dorthin ist schön – ohne Frage. Sie führt durch tiefen Wald, in dem es, wie immer in den Dschungelflecken, angenehm kühl ist, und dann wieder an freien Jhum-Feldern vorbei. Doch heute ist mir das alles zu viel. Vor allem Henshet nimmt seinen Job, uns sein Land zu zeigen, sehr ernst – zu ernst! Ununterbrochen erzählt er uns von den Traditionen der Phom, ihrer Geschichte, ihrer Missionierung usw. und von seinen Feldstudien, die er zur traditionellen Religion der Phom gemacht hat. An jedem anderen Tag wäre Henshet der perfekte Begleiter – nur eben heute nicht...

Nach drei Stunden Serpentinen sind wir endlich da. Das Dorf ist noch recht traditionell und muss furchteinflößend gewesen sein, als die Briten es zum ersten Mal besuchten. Es gibt sogar noch Reste der alten Panjiee-Wälle, wo angespitzte Bambusstäbe die Eindringlinge abwehren sollten. Wir werden herzlich vom Ältestenrat begrüßt und eine Gruppe Frauen tanzt für uns. Die Älteste in ihrer Mitte trägt noch die auffälligen Gesichtstattoos, die sich quer über die Wangen und vom Kinn hinauf bis zum Mund ziehen. Auch manche – gar nicht so alte – Männer sind im Gesicht tätowiert: Ein breiter pfeilförmiger Strich durchzieht ihre Stirn. Sakshi hat ein paar Morung mit alten Schnitzereien – u.a. zwei sich gegenseitig in die Hälse beißende Leoparden. Es sieht aber nicht so aus, als seien die Morung noch sehr belebt. Unser eindrucksvollstes Erlebnis haben wir in der Dorfschmiede. Hier wird noch nach völlig urtümlichen Methoden gearbeitet. Um das Feuer auf die notwendige Hitze zu bringen wird es mit einem hölzernen Blasebalg angefacht. Lange federumhüllte Stangen werden in das ausgehöhlte Holz gestoßen und drücken die Luft in die Flammen. Hier sitzt der uralte Schmied, der ebenfalls die tätowierte Brustinsignie des erfolgreichen Kopfjägers trägt, und schlägt auf eine neu zu schmiedende Klinge mit einem riesigen, schweren Steinhammer. Als Amboss dient ein großer Flusstein. Ich wundere mich, wie der alte Mann diesen schweren Hammer überhaupt heben kann und werde an die drahtigen alten Kopfjäger von Pongo erinnert. Da hätten wir bleiben sollen, denke ich bei mir, doch wäre es nicht möglich gewesen, all die herzlichen Leute von Sakshi zu enttäuschen.

Es ist Nacht, als wir wieder in Longleng eintreffen. Unsere Freunde aus Yongnyah seien auch gekommen, berichtet Thangi, und hatten ihrem Klan mittels einer der Baumstammtrommeln mitgeteilt, dass sie gut angekommen seien...



Auf den Feldern vor Longkhai:

Auf dem Weg nach Mon passieren wir bereits einen Ort, den Haimendorf in seinem Buch lebendig beschreibt – Longkhai. Das Dorf liegt geschützt von einem kleinen Wald hinter einem erhabenen Bergrücken, der in der Zeit unseres Besuches vollkommen kahl ist. Wie Ameisen wirken die vielen Menschen, die sich auf seinen Abhängen zu schaffen machen. Hier ist man gerade erst mit der Reinigung der Jhumfelder fertig geworden. Die Aussaat wird in den nächsten Tagen stattfinden. Gut für uns, denn dann kommt Aoling, so nennen die Konyak ihr Frühlingsfest, mit dem sie die Saat fertilisieren.
Als wir aussteigen und mit den Feldarbeitern über das bevorstehende Fest sprechen, stellt sich uns auch ein junger Mann vor, der sich als Enkel des Ang von Longkhai entpuppt – des Häuptlings, von dem Haimendorf so eindrucksvolle Porträts in seinem Buch veröffentlichte. Er kann sich noch an den aristokratischen Österreicher mit seinem "lustigen Akzent" erinnern, gerade an die Zeit, als Haimendorf noch einmal Ende der 1960er-Jahre für einen Tag nach Longkhai kommen durfte. Er und alle auf dem Feld arbeitenden Konyak sind westlich gekleidet. Das hindert sie jedoch nicht, neben ihren Daos, mit denen sie in mühsamer Arbeit die harten Böden der Felder bearbeiten, noch andere traditionelle Waffen dabei zu haben. So stecken an verschiedenen Stellen mit Ziegenhaar besetzte Speere im Boden.
"Wozu sind die?" frage ich.
"Man kann nie wissen", antwortet der Enkel des Ang.
"Wenn du der Enkel des alten Ang bist, wer ist dann jetzt der Ang von Longkhai?"
"Na, ich natürlich."
Haben sich die Zeiten geändert, denke ich bei mir, dem Ang aus Haimendorfs Buch wäre es nie in den Sinn zu kommen, auf den Feldern zu arbeiten. Ang waren große, strenge Herrscher mit königsähnlichen Würden und zum Teil über Dutzende angeschlossene Dörfer sich erstreckenden Machtbereich. Was mochte wohl von diesen Traditionen noch erhalten sein?



Jadonang und die Zeliangrong des Peren-Distrikts:

Wir durchqueren die grüne Oase des Dzoukhu-Tals mit seinen geschickt angelegten, von Holundersträuchen beschatteten Reisterrassen. Es ist nur für kurze Zeit eine Ebene. Schon bald steigt die Straße kontinuierlich an und erreicht schließlich einen Pass. Ab hier oben beginnt das von den Angami ins Leben gerufene und instand gehaltene Naturschutzgebiet. Erstes Zeichen hiervon sind die vielen Mithun, die sich ungeniert über die schmale Straße wagen und gemächlich-geschickt ins Unterholz verschwinden, als wir eine gewisse Distanz zu ihnen unterschreiten.
Hinter dem Pass liegt der neu gegründete Peren-Distrikt. Er wird besiedelt von den Zeliangrong, die sich aus den Zeme, Liangmei und Rongmei zusammengetan haben. Wir hatten sie schon in Manipur kennengelernt. Dort ist ihre Bevölkerung mit 50.000 Menschen mehr als doppelt so stark wie hier in Nagaland, wo ihre Kultur stark von der der Angami überlagert ist – aus weiser Voraussicht, wie man uns später sagt, damit man seinen Kopf auf den Schultern behält...

Als wir fast die Talsohle erreichen, ist unsere Fahrt vorzeitig beendet. Ein riesiger Felsbrocken blockiert die Straße. Weit und breit ist niemand zu sehen, der uns helfen könnte. Es lässt sich nicht ändern: Wir müssen zurück. Oben hinter dem Pass hatten wir ein Militärcamp gesehen. Vielleicht kann von da aus ein Funkspruch nach Peren abgesetzt werden. Thomas Rengma, den Thangi uns für die letzten Abschnitte unserer Reise zur Verfügung gestellt hat, verschwindet mit dem Fahrer hinter dem Schlagbaum. Es dauert eine geschlagene Stunde, bis sie zurückkehren. Der Funkspruch ist nach vielem Hin und Her gesendet worden. Eine Antwort kommt nicht, denn zwischenzeitlich ist der Strom ausgefallen. Wir entscheiden, wieder zum Felsblock zu fahren, in der Hoffnung, dass man uns aus Peren vielleicht einen anderen Jeep entgegenschickt. Damit haben wir recht. Es dauert nicht lange, bis das rote Auto des Distriktverwalters von unten an den Felsen anlangt. Wir laden um und bald erreichen wir den kleinsten und urigsten Distriktverwaltungsort ganz Nagalands. Das einzige, was Peren diesbezüglich auszeichnet, ist das Bungalow des Beamten, das wie ein Fremdkörper zwischen all den Bambushütten wirkt. Dieser ist ein gelangweilter Bengale, der den Hauptteil seiner Zeit mit dem Abschießen von Wild verbringt, was eigentlich gegen die Vorschriften im Naturschutzgebiet ist. Nach einem kurzen Höflichkeitsbesuch bei ihm, erkunden wir mit einer Gruppe Zeliangrong den Ort. Als wir einen "Heraka" genannten Bezirk betreten, berichten sie stolz von ihrem alten Anführer – Jadonang.

Jadonang, war, wie uns die Männer berichten, ein Schamane, der zusammen mit anderen Zeme-Priestern in den 1920er-Jahren eine Gegenbewegung zum vorpreschenden Christentum ins Leben rief. Seine Lehre – beeinflusst von dem, was die Missionare predigten – vereinigte die vielen Götter der Naga in einem einzigen Gott. Er baute Tempel, führte Lieder und Predigten ein und strebte zusammen mit seiner Kusine Gaidinliu danach, die traditionellen Zeme-Rituale und -vorstellungen wiederzubeleben. Damit gingen die Vereinigung der drei Naga-Gruppen zu den heutigen Zeliangrong einher, Friedensstiftungen zwischen Klans und Dörfern und die Auflehnung gegen die Unterdrückung durch die Briten. Spätestens als Jadonang zum offenen Kampf gegen diese aufrief, war er gezwungen, in den Untergrund zu gehen. Dort entwickelte er die erste Naga-Schrift, damit geheime Nachrichten an die Mitglieder seiner Bewegung übermitteln werden konnte. Die beiden übernahmen Gandhis Ideen des zivilen Ungehorsams und lehnten jegliche Steurzahlungen an die Kolonialherren ab. Als Jadonang jedoch öffentlich dazu aufrief, alle Briten zu töten, wurde er verhaftet und erschossen. Gaidinliu übernahm die Führung und wurde ebenfalls verhaftet. Erst Nehru amnestierte sie und verlieh ihr gar den Ehrentitel "Rani”. In den frühen 1970er-Jahren reorganisierte sie ihre Bewegung und führte das vereinigte Volk der Zeliangrong zur nationalen Anerkennung.